Das ist der Text eines Massenflugblattes und in abgewandelter und
regional angepasster Form von vier Wandzeitungen des Jugendwiderstands,
die im Rahmen der lokalen "Neuköllner wehrt euch!" Kampagne - neben anderer Propaganda - tausendfach in
Berlin-Neukölln verteilt und verklebt wurden. Neukölln bleibt Rot!
Neuköllner wehrt euch!
Unser Kiez verändert sich. Die seit Jahren von der herrschenden Politik vorangetriebene Entwicklung in Berlin, die sich in steigenden Mieten, Zwangsräumungen, Luxussanierungen, unzähligen Ferienwohnungen und haufenweise reichen Neuberlinern zeigt, verschont auch Neukölln nicht. Ganz im Gegenteil.
Dönerläden schließen und Galerien eröffnen!
Die Politiker und ihre Medien versuchen uns diesen Wandel als natürliche Veränderung zu verkaufen. Und tatsächlich kämpft die Bevölkerung jeder Großstadt mit denselben Problemen – egal ob New York, London oder Paris. Trotzdem sind diese Entwicklungen kein Zufall und kein natürlicher Prozess. Es gibt immer einige wenige, die davon profitieren: Die Bonzen, die sich am Ausverkauf der Arbeiter- und Armenviertel eine goldene Nase verdienen. Im Gegensatz zu den Behauptungen der Politiker, dass es gut für Jeden und vor allem für die angestammte Bevölkerung wäre, wenn hier massenhaft Cafés, Galerien und Boutiquen eröffnen, sieht die Realität ganz anders aus. Für die ursprüngliche Anwohnerschaft dieser Viertel stellen diese Veränderungen einen direkten Angriff auf ihre Lebensverhältnisse dar!
In keinem Bezirk Berlins sind die Mieten in den letzten 9 Jahren so stark gestiegen, wie hier. Im Schnitt kostet eine Wohnung inzwischen 75% mehr als noch 2007. Übermäßig viele Bewohner Neuköllns müssen deswegen in andere Bezirke ziehen, fast ausschließlich an den Stadtrand. Und überdurchschnittlich viele Zugezogene kommen aus anderen Bundesländern hierher.
Nordneukölln ist auch Spitzenreiter, was die Dichte an Ferienwohnungen angeht. Im Reuterkiez gibt es innerhalb von wenigen Straßenzügen fast 500 Ferienzimmer und -wohnungen! Angemietet werden diese größtenteils von jungen Menschen aus aller Welt, für die eine solche Wohnung auch noch günstig erscheint. Dann lernen sie "das echte Neukölln" kennen: eine bunte Kunst- und Partyfassade, hinter der die eigentliche Kiezbevölkerung immer mehr verdrängt und aus ihren Wohnungen geschmissen wird.
Während die alten Probleme des von den Medien schon seit Jahrzehnten zum „Problembezirk“ erklärten Arbeiter- und Migrantenviertel Neukölln – Stress mit Bullen, Stress mit dem Chef oder im Jobcenter, zu wenige Kitaplätze, marode Schulen und zu wenig Geld, um die Familie anständig über die Runden zu bringen – bleiben, kommen durch diese Entwicklung in den letzten Jahren haufenweise neue Probleme dazu.
Ob Reuterkiez, Richardkiez, Weisekiez oder Karl-Marx-Straße – man erkennt das Viertel, in dem man aufgewachsen ist und wo man selbst oder zumindest die Familie schon seit Jahren oder Jahrzehnten zu Hause ist, kaum noch wieder. Überall eröffnen neue Läden, die vollkommen auf das neue, „hippe“ und reiche Klientel, das durch Imagekampagnen und Stadtentwicklungsprojekte angelockt werden soll, angepasst sind. Der durchschnittliche Neuköllner kann sich in diesen Läden nichts leisten.
Alteingesessene Läden und Lokale müssen schließen, weil sie sich die Mieten nicht mehr leisten können und sowieso nicht in das neue, aufpolierte Bild Neuköllns in den Werbeprospekten von Bauunternehmen oder der Bezirksregierung passen.
Wohnhäuser werden nach und nach „klimagerecht“ luxussaniert. Doch mit der neuen Dämmung, den neuen Fenstern, der Loftwohnung im Dachgeschoss und der Tiefgarage im Keller steigen die Mieten ins Unermessliche. Die alleinerziehende Mutter mit mehreren Jobs, der Jugendliche, der nach der Schule vergeblich auf einen Ausbildungsplatz wartet und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält, der Familienvater, der die Ladenmiete für sein Geschäft an der Ecke kaum noch aufbringen kann, sie alle können sich diese Wohnungen nun jedenfalls nicht mehr leisten – für die Flüchtlinge, die vor dem Bombenterror der Kriegstreiber, der Großkonzerne und Söldnerbanden hierher fliehen, gibt es natürlich auch keinen Platz im neuen Kiez „der Reichen und Schönen“, sondern erniedrigende Lager am Stadtrand.
Neukölln ist nach wie vor von Migranten geprägter Arbeiterbezirk und immer noch einer der ärmsten Bezirke von Berlin. Aber auch wenn die Veränderungen noch nicht so weit fortgeschritten sind wie in Kreuzberg, spürt man schon jetzt deutlich, wie schnell sich das ändert. Und, dass ein Bezirk nicht mehr arm ist, mag positiv klingen. Das wäre es wohl auch, wenn wir wirklich mehr Geld zur Verfügung hätten und ein besseres Leben führen könnten. Doch die Armen werden nicht reicher, sondern werden aus dem Kiez verdrängt. Stattdessen ziehen neue Bewohner in den Bezirk, die sich die überteuerten Mieten und die Preise in den neu eröffnenden Geschäften und Cafés leisten können. Diejenigen, die in den Augen von Politikern, Investoren und neuer Anwohnerschaft nichts mehr im neuen, „hippen“ Szenekiez zu suchen haben, müssen wegziehen.
All das passiert im Interesse der Profite der Bonzen, die mit dieser Scheiße, die in unserem Viertel passiert, unglaublich viel Geld verdienen. Sie machen ihr Geld auf Kosten der Arbeiter und Armen; derjenigen, die in diesem System sowieso schon nichts oder nur das Nötigste zum Überleben haben.
Doch Neukölln wehrt sich! Wir lassen uns nicht aus unserem Viertel verdrängen! Neuköllner wissen wie man kämpft und dieses Viertel und seine Bewohner haben sich noch nie unterkriegen lassen. Wenn wir zusammenstehen, die Entwicklung als das verstehen, was sie wirklich ist, aktiv Widerstand leisten und uns gegen dieses Ausbeutersystem, das unsere Zukunft verkauft und weltweit auf dem Rücken des einfachen Volkes mordet und plündert, organisieren, haben wir eine Chance, unsere Zukunft selbst zu erobern und zu gestalten.
Unser Viertel ist kein Szenekiez!
Neuköllner wehrt euch!
Rebellion ist gerechtfertigt!
Jugendwiderstand